1955
Das so genannte „Anwerbeabkommen“, durch das zahlreiche Italiener als
Gastarbeiter nach Deutschland kommen, wurde am 20. Dezember 1955 beschlossen.
Die boomende Wirtschaft in Deutschland braucht mehr Arbeitskräfte. Ihre
Rekrutierung durch Flüchtlinge und Vertriebe aus den ehemaligen deutschen
Ostgebieten und bis zum Mauerbau 1961 auch aus der DDR reichte eines Tages
nicht mehr aus und so beschloss man das so genannte „Anwerbeankommen“. Bereits
1953 bemühte sich die italienische Regierung um die Vermittlung italienischer
Arbeiter nach Deutschland. Dahinter steckte zunächst ein rein
finanzwirtschaftliches Interesse Italiens, das mit dieser Strategie die
Leistungsbilanz des Landes der Bundesrepublik Deutschland gegenüber
auszugleichen oder anders formuliert, das Defizit in der Handelsbilanz zu
kompensieren. Die italienische Wirtschaft wurde entlastet und die deutsche
Regierung erhielt die gesuchte Arbeitskraft. Eine klassische
„win-win-Situation“ wie man sie heute neudeutsch nennen würde. Die deutsche
Regierung reagierte anfänglich zurückhaltend auf dieses Angebot. Den Weg für
das „Anwerbeabkommen“ ebnete schließlich das deutsche Außenministerium, das
sich gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit in den Verhandlungen
durchsetzte und die Beschäftigung von Ausländern befürwortete. Für Deutschland
wurde der Ausbau bilateraler Beziehungen mit Italien zum Vorbild für weitere
Anwerbeabkommen mit Spanien, Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien
und Jugoslawien, die alle in den 1960er Jahren geschlossen wurden.
Anfangs vorgesehen waren Beschäftigungsverhältnisse im Saisongeschäft, v.a. in
der Landwirtschaft und in der Hotel- und Gaststättenbranche. Die
Arbeitsverträge waren auf sechs oder zwölf Monate befristet. Die „Vereinbarung
über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der
Bundesrepublik Deutschland“ war eine Arbeitsvermittlung, die sowohl Auswahl der
italienischen Bewerber, als auch Anreise, Lohnfragen und Familiennachzug
regelte. Nach ihrer Ankunft am deutschen Zielbahnhof, wurden die Italiener
registriert, mit einer warmen Mahlzeit versorgt und dann auf die Züge verteilt,
die sie zu ihrer neuen Arbeits- und Lebensstätte bringen sollten. Untergebracht
wurden die italienischen Gastarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften, Dolmetscher
halfen ihnen sich im deutschen Alltag zurechtzufinden – die richtige
Straßenbahn, den Supermarkt, einen Arzt etc. finden. Kurz nach Inkrafttreten
des Abwerbeabkommens meldeten sich zahlreiche weitere Betriebe und ganze
Branchen wie der Bergbau und die Eisen- und Metallindustrie für die Aufnahme
der so genannten „Gastarbeiter“. Eingesetzt wurden diese meistens in
Schichtarbeit für die Ausführung schwerer, schmutziger Arbeiten. Viele
Überstunden, ein geringer Lohn und einfache Unterkünfte machten das Leben für
die italienischen Gastarbeiter in Deutschland sehr schwer. Die meisten
Italiener versuchten so viel Geld wie möglich zu sparen, um nach dem geplanten
Arbeitsjahr in ihre Heimat zurückzukehren und sich dort eine eigene Zukunft
aufzubauen.
Bis zur wirtschaftlichen Rezession 1966/67 nahm die Aufnahme italienischer
Gastarbeiter v.a. aus Süditalien stetig zu, so dass insgesamt 67 % der Migranten
in Deutschland Italiener waren. Höhepunkt der Einwanderung war das Jahr 1965
mit der Aufnahme von einer guten halben Million italienischer Arbeiter. Im
Jahre 1973 verursachte die durch die Ölkrise ausgelöste Stagnation der
Wirtschaft zum Anwerbestopp von Gastarbeitern sämtlicher Länder. Viele Betriebe
in der Bau- und Textilbranche schlossen ihre Tore und entließen als erstes ihre
Gastarbeiter, die immer häufiger arbeitslos wurden. Statt der damals erwarteten
Rückreisewelle der Gastarbeiter blieben diese nicht nur, sondern die
Zuwanderung stieg sogar weiter an, wenn auch nicht im selben Umfang wie in den
sechziger Jahren. Die Ausgaben der Arbeitslosen- und Sozialhilfe stiegen an.
Die deutsche Regierung musste sich den Anforderungen und Herausforderungen der
Integration der einst nur zeitlich befristeten Arbeitskräfte in die deutsche
Gesellschaft stellen. Die Hauptschwierigkeiten betrafen das Erlernen der
Sprache, das durch den erlebten Kulturschock stark ausgeprägte Heimweh und die
Ängste in der deutschen Bevölkerung, die immer wieder zu Ablehnungen und
Ausgrenzungen ausländischer Mitbürger führte. Seit 1955 sind etwa vier
Millionen italienische Staatsbürger nach Deutschland eingewandert. Mittlerweile
ist die dritte Generation der einstigen Gastarbeiter herangewachsen. Wenngleich
sich die Art der Schwierigkeiten verändert haben, es ist und bleibt noch immer
eine Herausforderung für die deutsche Gesellschaft ihr multikulturelles Gesicht
zu akzeptieren und mit einem Lächeln zu beantworten. Die aktuelle Flüchtlingswelle
zeigt aber, dass in der deutschen Gesellschaft ein großes Herz und viel
Offenheit verbreitet ist, die andauernden Herausforderungen anzunehmen.
Labels: Cronaca di un amore, Startseite